Titel-Restaurierung



Die Restaurierung der Außenmembran einer "gläsernen" Kuh


Geschichte

Franz Tschakert, Präparator und Modellbauer des deutschen Hygiene - Museums begann in den 20er Jahren des letzten Jahrtausends in einem Schuppen der Dresdener Mandelpräparate- und Marmeladefabrik Siemank & Ringelhahn zu experimentieren. Unter zu Hilfenahme der großen Dampfkessel der Marmeladenfabrik versuchte er durchsichtigen Platten des thermoelastischen Kunststoffes Cellon die Form des menschlichen Körpers zu geben. Ob er ganz allein gearbeitet oder Unterstützung hatte ist nicht bekannt, jedenfalls war er mit seinen Versuchen und Experimenten sehr erfolgreich. Die Präsentation dieser Arbeit fand 1930 in Dresden anlässlich der 2. Internationalen Hygiene - Ausstellung statt.
Eine Sensation - der Gläserne Mensch - so etwas hatte die Weltöffentlichkeit bis dahin nicht gesehenen. Entsprechend waren die Reaktionen der Internationalen Presse. Diese und auch später gebaute Figuren des Deutschen Hygiene - Museums (Männer, Frauen, schwangere Frauen, später auch Kühe und Pferde) zogen auf Internationalen Ausstellungen Millionen von Menschen in ihren Bann, da sie Einblick gewährten in das sonst Unsichtbare - das Innere des Körpers.

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Heidi, eine gläserne Kuh; benannt nach der als Vorlage dienenden vierjährigen domestizierten Hauskuh.
Beschreibung des Objekts

Die gläserne Kuh" wurde in den 50er Jahren im Hygiene - Museum, Dresden hergestellt. Sie stellt das lebensgroße Modell einer vier Jahre alten domestizierten Hauskuh dar (Höhe 162 cm, Breite 120 cm, Länge 238 cm). Das Skelett wurde aus einer Aluminiumlegierung gegossen und besteht aus 197 Einzelteilen.
Das Ader- , Venen- und Nervensystem wurde aus Kupferdraht (Durchmesser 0,25 mm) zusammengedreht und gebogen; anschließend verzinnt und in den gängigen anatomischen Farben rot, blau und gelb koloriert. Die Gesamtlänge wird mit 60 km Draht angegeben.
Die inneren Organe sind aus dem Kunststoff Cellon nachgebildet und koloriert. Sie waren ursprünglich durch ca. 120 kleine Glühlampen von innen, synchron zu einem Tonbandvortrag, der die Funktion der inneren Organe erklärt, zu beleuchten.
Durch die, der äußeren Gestalt einer Kuh entsprechenden „gläsernen" Hülle , die aus 56 Einzelteilen gefertigt wurde, ist das Innere zu betrachten. Es wurden bis Anfang der achtziger Jahre 8 gläserne Kühe angefertigt und weltweit verkauft. Dieses Exemplar war eine Leihgabe des Institutes für Veterinärwissenschaft der Universität Helsinki und wurde von 1999 bis 2000 in verschiedenen Sonderausstellungen in Deutschland gezeigt.

   
Rekonstruktion der Hüllenherstellung

Das Modell wurde in Einzelteilen gefertigt, diese parallel zu den aufeinanderstoßenden Kanten angebohrt und während des Klebevorganges mit Drahtklemmen zusammengehalten. Die durch die Art der Herstellung auftretenden Spannungen der Kunststoffeinzelteile spielten bei der Montage noch keine Rolle, da sie während des Zusammenfügens mit den Drahtklemmen ständig nivelliert werden konnten. So wurden die Objekte Stück für Stück montiert.
Die Frage ob damals rein adhesiv geklebt, rein thermisch oder eine Kombination von beiden Methoden eingesetzt wurde, ließ sich aufgrund mangelnder Quellen nicht ausreichend beantworten.

   
Werkstoff Cellon

Bereits Rathgen beschreibt 1924 die Konservierung von Pergament und Papier mittels des Werkstoffes Cellon. Er zitiert in der Fußnote auch verschiedene Artikel, die sich mit den Unterschieden von Zapon (Celloloid) und Cellon (Celluloseacetat) auseinandersetzen. Dort geht es um die Themen Vergilben und Zersetzen, bei dem das Cellon viel besser abschneidet als Zapon, da es unter Lichteinwirkung nahezu nicht vergilbt.
Dieser Werkstoff wurde bekannt unter verschiedenen Handelsnamen wie, Zellon, Cellon, Cellit, Trolit W, Ecaron, Ultraphan, Ecarit. In den neuen Bundesländern Saxetat und Diaspan.
Celluloseacetat ist der Essigester der Cellulose und im Gegensatz zu Nitrocellulose (Celluloid) nicht brennbar. Filme aus diesem Material sind zähelastisch und kratzfest, sehr beständig gegen Licht, Wasser und Benzin. Unbeständig jedoch gegen Säuren, Laugen und einige organische Lösemittel wie Methylacetat, Aceton, Essigester in 10 - 20 %igem Gemisch mit Methanol bzw. Alkohol, als Speziallösemittel dient Methylglykol. Das Material gehört zu den Thermoplasten und manche Typen sind bis zu einer Temperatur von 170° C einsatzfähig.

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Die Cellonprobe links aus der Außenmembran der Kuh ist ca. 50 jahre alt und zeigt gegenüber dem "frischen" Cellon eine geringe Vergilbung.
Materialrecherche

Ein Telefonat mit den Werkstätten des Hygienemuseums Dresden war in anbetracht der fast 50 vergangen Jahre seit der Herstellung dieses Modells nicht sehr erfolgversprechend. Man konnte jedoch versichern, dass das Hüllenmaterial seinerzeit aus der BRD in die damalige DDR eingeführt wurde, die Firma soll im Kölner Raum ansässig gewesen sein.
Cellon war ein geschützter Name für ein Celluloseacetat der Firma Hüls, das im Werk Troisdorf hergestellt wurde. Vor ungefähr 20 Jahren wurde die Produktion eingestellt. Cellon vergilbt sehr wenig, lässt sich mit Lösemitteln wie Ketonen und Estern verkleben und ist thermisch verformbar.
Das zur Restaurierung benutzte Celluloseacetat wurde in der, der Hülle entsprechenden Stärke bezogen; es handelt sich dabei um Plattenware mit den Maßen 1,40 m mal 0,60 m.

   
Tests und Versuche

Die Literaturzitate zum Thema Herstellung von gläsernen Figuren" sind nicht so ergiebig wie das zu wünschen wäre. Aus diesem Grunde wurden umfangreiche Überlegungen und Versuche zu dieser ganz speziellen Technik durchgeführt.

Es gab drei Bereiche, auf die sich die Versuchsreihen konzentrierten: Klebung, Formung des Passstückes und Politur.

Zur Klebung wurden die in der Tabelle aufgelisteten Materialien in verschiedenen Konzentrationen ausgetestet. Die Cellon in Aceton Lösung wurde in verschiedenen Konzentrationen angewendet und führte zu den besten Ergebnissen.

Zur Formung des Passstücks wurden Versuchsformen mit Cellon belegt und im Trockenschrank bei verschiedenen Temperaturen verformt. Der Schmelzpunkt dieses Cellons liegt zwischen 130°C -140°C. Es wurde festgestellt , dass das Material sich beim Abkühlen aus der Gipsform hob, und entsprechend nicht mehr passgenau war. Deshalb wurde ein "Deckel" zur Form gefertigt um das Cellon beim Abkühlen möglichst in der gewünschten Position zu halten.
Versuche mit einer Tiefziehanlage führten nicht zu den gewünschten Ergebnissen, da das zur Verfügung stehende Gerät für moderne Werkstoffe ausgelegt war.

Zur Politur wurde mit verschiedenen Schleif- und Polierkörpern gearbeitet, dabei führten silicongebundene Schleifkörper verschiedener Körnung und Baumwolle mit Poliermittel zu den besten Ergebnissen. Während dieser Vorbereitungsphase wurden einige neue" alte Erkenntnisse gewonnen.

Wenn man bedenkt, über welche Kenntnisse der Kunststoffe und Möglichkeiten der Verarbeitung wir heute verfügen, ist die Arbeit des Erfinders dieser Figuren gar nicht hoch genug zu bewerten. Die Kunststoffverarbeitung steckte damals nicht mal in den Kinderschuhen, sie lag noch in der Wiege.

 

Zur Klebung wurden folgende Materialien in verschiedenen Konzentrationen ausgetestet.

Lösemittel Feststoff
Ethanol
Pioloform
Aceton
Pioloform
Ethylacetat
Paraloid A11
Aceton
Paraloid A11
Aceton
Mowilith
Ethylacetat
Mowilith
Ethylacetat
Plexigum 80
Aceton
Plexigum 80
Ethylacetat
 
Aceton
 
Ethylacetat
Cellon
Aceton
Cellon
Beschreibung und Interpretation der Schäden

Kopf

Am auffälligsten war die Beschädigung des Kopfes: ein Spalt zog sich von den Hörnern über Stirn, Nase und Maul bis zur Kehle, die Gesamtlänge betrug 46,3 cm. Die breiteste Ausdehnung von 2,4 cm lag im Nasenbereich. Der Riss, entlang einer ehemaligen Klebenaht am Hals war noch länger. Im Stirn- und Nasenbereich ragten die das Ader- , Venen- und Nervensystem darstellenden gefärbten Drähte aus dem Objekt. An dem Modell sind einige Partien zu erkennen, welche offensichtlich schon einmal geklebt worden waren und zwar Nacken, Gesichtsnaht im Hornbereich und an der Brust.
Diese Beschädigung des Kopfes kann durch einen Schlag/Stoß auf den Nasen/Maulbereich entstanden sein, darauf deuten auch zwei verkratzte Stellen in diesem sonst hoch glänzenden Bereich hin. Dieser Schlag/Stoß führte dazu, dass sich die ursprüngliche Klebung löste und die bei der ersten Montage aufgetretenden Spannungen der Kunststoffhülle zu beträchtlichen Passungenauigkeiten führten.

Hufe

Das Schadensbild an den Hufen war an drei Läufen (vorne links, rechts und hinten links) gleich. Die Sohlen waren von den Hufen getrennt, so dass Spalten bis zu 3,4 cm Breite entstanden waren. Es war bereits der Versuch unternommen worden, die Beschädigung mit dünner Folie (Tesafilm? o.Ä.) zu verschließen. Diese Folie war entlang der Spalten gerissen.
Die Entstehung des Schadens ist nicht ganz eindeutig, es vermittelt den Eindruck als habe sich das metallene Innengerüst des Modells "gesetzt". Das könnte z.B. durch eine größere Erschütterung geschehen sein. Dieser Schaden ist nicht in Zusammenhang mit der Beschädigung des Kopfes zu sehen.

Rücken

Der auf der rechten Seite des Rückens entstandene Schaden zeigte Aussplitterungen und Risse einer maximalen Ausdehnung von 22,6 cm mal 8,9 cm. Das Hüllenmaterial war muschelig ausgebrochen und zeigte Risse in umgebende Bereiche. Dieses Loch wurde bis zur endgültigen Restaurierung provisorisch mit einer dünnen Celluloseacetatfolie verschlossen. So konnte ein Verstauben des Inneren vermieden werden. Dieser Schaden entstand durch das Fallen eines Gegenstandes aus großer Höhe .

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Die Aussplitterungen im Bereich des Rückens wurden bis zur endgültigen Restaurierung mit einem provisorischen Folienpfaster verschlossen.
Restaurierungskonzept für den Kopf

Bei der Restaurierung des Kopfes sollten die vorhandenen Bohrlöcher der ersten Montage genutzt werden um mit Drahtklemmen den Spalt soweit wie möglich zu schließen und zu verkleben. Die offenen Klebenähte sollten lediglich wieder verklebt werden.

Ausführung

Nach dem Verschließen der offenen Klebenähte und dem in Form bringen der beiden Gesichtshälften durch Drahtklemmen (kunststoffbeschichtet) betrug die Breite des Spaltes am Kopf immer noch 1,1 cm. Das Schließen des Spaltes war nur möglich, indem die thermoelastischen Eigenschaften des Cellons genutzt wurden. Das Material wurde mehrfach langsam erwärmt und in Form gedrückt. Nachdem die Hälften des Kopfes zusammengefügt waren, konnte die Naht verklebt werden. Nach Erhärten der Klebung wurde geschliffen und poliert .

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Bei der Restaurierung des Kopfes konnten die vorhandenen Bohrlöcher der Urmontage genutzt werden. Hier sieht man das Einfädeln des Kunststoffbeschichteten Drahtes.
Restaurierungskonzept für die Hufe

Auch bei den Hufen sollten zuerst die einzelnen Partien geklammert und weitgehend in Form gebracht werden. Der folgende Ablauf sah vor, die Spalten mit dünner Celluloseacetatfolie zu pflastern und Cellon/Acetonlösung aufzutragen um nach und nach eine polierfähige Fläche zu erhalten.

Ausführung

Die Restaurierung der Hufe erfolgte nach dem erstellten Konzept. Die dadurch auftretende Verlängerung der Hufe ist zwar anatomisch nicht exakt, stellte aber eine Möglichkeit dar, die Risse zu verschließen, ohne die Hülle komplett neu zu montieren.

   
Restaurierungskonzept des Rückens

Für die Restaurierung dieses Schadens boten sich verschiedene Konzepte an. Die Wahl fiel auf die Variante, die versprach, das meiste Originalmaterial zu erhalten und trotzdem keine Folgeschäden zu provozieren. Es sollte soviel von dem beschädigten Cellon aus der Hülle entfernt werden, das alle entstandenen Risse mit eingeschlossen waren. Ein der Oberfläche entsprechendes Passstück wird einsetzt, das zwar unauffällig aber aufgrund der Vergilbung des Exponates nicht ganz unsichtbar ist.

Ausführung

Formbau und Anwendung

Vor der Entfernung der beschädigten Cellonpartie wurde eine einfache Gipsform angefertigt, welche die Passgenauigkeit der Ergänzung gewährleisten sollte. Diese Form die natürlich die provisorisch angelegte Ergänzung zeigte, wurde durch Schleifen und Polieren der ursprünglichen glatten Oberfläche des Exponates angepasst.
Da das thermoelastische Cellon nach dem Erwärmen dazu neigt, Spannungen, die während des Herstellungsprozesses entstehen nachzugehen, musste zusätzlich eine Negativformhälfte ("Deckel") angefertigt werden. Diese hielt das Cellon während des Abkühlens in seiner Form. Das Passstück wurde bei ca. 130 ° C im Trockenschrank produziert.
Vor Beginn der Arbeiten wurde das Exponat zum Schutz mit einem Vliestuch abgedeckt, so das nur der zu bearbeitende Teil sichtbar war.
Das zu entfernende Hüllenteil wurde an den Rändern mittels drehender Werkzeuge bis auf wenige 0,1 mm heruntergeschliffen. Der Sägeschnitt selbst, wurde mit einer Absauganlage begleitet, damit keine Kunststoffspäne in das Innere des Körpers gelangen konnten.
Das Einfügen des neuen Teiles wurde mit der recherchierten Technik, d.h. Drahtzwingen zur Fixierung und partielles Kleben bis zur endgültigen Auffüllung der Naht, mit Aceton/Cellonlösung durchgeführt.
Im Anschluss erfolgte das traditionelle Schleifen und Polieren.

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Die fertige Ergänzung im Datail. Die Bohrlöcher wurden, wie bei der Urmontage dazu genutzt, das neue Formteil in Position zu halten, bis die Klebung erfolgt.

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Die Ergänzung in der Übersicht, links neben dem roten Pfeil. Vorne rechts erkennt man eine der Klebungen der Urmontage.
Literaturverzeichnis

Deutsches Hygienemuseum Dresden (Hrsg.) (1985) : Gläserne Figuren. JG 14/5/85.

König, G., (1997) : Die Gläserne Kuh. Faltblatt des Deutschen Hygiene Museums.

Lüttgen, C., (1953) : Die Technologie der Klebstoffe.: 225 - 234.

Rathgen, F., (1924) : Die Konservierung von Altertumsfunden. Metalle und Metallegierungen Organische Stoffe. - Handbücher der Staatlichen Museen zu Berlin ( 2 – 3 ) : 130 - 131.

Rathgen, F., (1926) : Die Konservierung von Altertumsfunden. Stein und Steinartige Stoffe. - Handbücher der Staatlichen Museen zu Berlin( 1 ) : 59 - 70.

Roth, M., (1990) : Menschenökonomie oder der Mensch als technisches und künstlerisches Meisterwerk. In: Beier, R., Roth, M. (Hrsg.): Der gläserne Mensch – eine Sensation. Zur Kulturgeschichte eines Ausstellungsobjekts : 39 - 68. Stuttgart : Gerd Hatje.

Saechtling, H., (1977) : Kunststoff - Taschenbuch. - 20 Ausgabe. München/Wien: Carl Hansa.

Schröter, W., Lautenschläger, K. H., Bibrack, H., (1981): Taschenbuch der Chemie. - 9. Auflage. Thun/Frankfurt/M. : Harri Deutsch.

Wagner, H., Sarx, H.-F., (1971) : Lackkunstharze. - 5. Auflage. München: Carl Hansa.

  Abbildungsnachweis

Abb. 2 : Verfasserin
Abb. 4 : Dr.S.Stein
Abb. 1,3,5 und 6 : Volker Esser


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© H.Krainitzki

20. Oktober 2004